In der More-to-Life-Methode gibt es den Begriff des Lifeschocks, der sich an das ABC-Modell des amerikanischen Psychologen Albert Ellis anlehnt. Mit Lifeschock werden alle Situationen / Ereignisse (A) bezeichnet, in denen etwas gegen unsere Erwartungen geschieht, in denen das Leben nicht mitspielt. Lifeschocks aktivieren Überzeugungen und Bewertungen (B) und diese wiederum haben Konsequenzen für unsere Emotionen und unser Verhalten (C). In unserem Alltagsdenken meinen wir, dass A direkt zu C führt. Die dabei wirkenden Überzeugungen und Bewertungen bemerken wir nicht. Wenn wir die bei Lifeschocks aktivierten Gedanken beobachten und erkennen, können wir direkt zu unseren Glaubenssätzen gelangen – und diese so bearbeiten und schließlich überwinden. Das ist oft ein schmerzlicher Prozess.
Doch manchmal sind die Schocks auch ausgesprochen heilsam und positiv. Ich nenne sie Lernschocks. Es handelt sich um Situationen, bei denen wir auf verblüffende Weise erkennen, dass wir mit unseren Erwartungen falsch lagen oder dass wir eine einfache auf der Hand liegende Lösung nicht gesehen haben. Die Verblüffung ist es, die den Wert für das Lernen ausmacht. Die Verblüffung führt dazu, dass wir einen unmittelbaren Handlungsimpuls erhalten und uns an dieses denkwürdige Ereignis noch lange erinnern.
Ich habe in den vergangenen Wochen gleich zwei Lernschocks erlebt:
Neuerdings kümmert sich um unsere Büros eine andere Reinigungsfirma. Seitdem ist jeden Morgen mein Schreibtisch aufgeräumt. Beim ersten Mal schoss mir durch den Kopf: „Wer war an meinem Schreibtisch? Was hatte die- oder derjenige dort zu suchen?“ Dann plötzlich: „Danke! Ihr habt mir gezeigt, wie mein Schreibtisch jeden Morgen aussehen sollte.“ Mittlerweile genieße ich es und versuche, den Schreibtisch am Ende eines Arbeistages so aufzuräumen, dass für die dienstbaren Geister am nächsten Morgen nur wenig zu tun bleibt.“
Vor einigen Wochen habe ich eine gute Freundin in die Schwitzhütte eingeladen. Sie sagte, sie wisse noch nicht, ob sich das mit ihrer aktuellen Weiterbildung vereinbaren lasse. Als ich sie noch einmal daran erinnerte, antwortete sie mir: „Eine Lehrerin zu haben, beinhaltet zu vertrauen, dass sie den größeren Überblick hat, was mir im Moment tatsächlich förderlich ist.“ Durch diesen Satz wurde mir mein Irrtum bewusst. Ich hatte geglaubt, dass es sich um ein Terminproblem handele. Dabei stellte sich für meine Bekannte die Frage, ob es für sie die rechte Zeit sei, das Schwitzhüttenritual kennenzulernen. Ich war tief beeindruckt, dass sie die Entscheidung darüber in die Hände Ihrer Lerhrerin legte und fragte mich, wem ich so vertrauen würde.
Lernschocks sind eigentlich leicht zu erkennen. Die Voraussetzung ist, dass wir offen für die in ihnen enthaltenen Impulse und Lehren sind. Im Umgang mit den beiden genannten Ereignissen habe ich auch Reaktionen erlebt, die das Lernen daraus ausschließen. Ich habe Kollegen, die sich über die morgige Schreibtischordnung aufregen. „Ich finde ja gar nichts mehr wieder.“ Für sie ist der aufgeräumte Schreibtisch kein Anstoß, um über die Ordnung an ihrem Arbeitsplatz nachzudenken, sondern ein Ärgernis. Lerneffekt gleich Null.“ Zu meiner zweiten Lernerfahrung meinte ein bekannter: „So würde ich mich nie von einem anderen abhängig machen.“ Mag sein, aber die Gelegenheit des Nachdenkens über rechte Zeitpunkte und Vertrauen in seinem Leben hat er damit leider verpasst.
Daher mein Rat: Seien Sie ein wenig misstrauisch gegenüber Ihrem Ärger, wenn etwas geschieht, das Sie verblüfft. Ihr Ärger enthält Ihnen möglicherweise ein wichtige Erkenntnis vor. Probieren Sie einmal, über sich und Ihre Erwartungen zu lächeln. Oder fragen Sie sich: Was habe ich erwartet? Was sagt mir meine Reaktion auf die „enttäuschte“ Erwartung? Kurz und gut: genießen Sie Ihre Lernschocks!