Vor kurzem erhielt ich ein wunderbares Geschenk, das Buch „Unerkannt durch Freundesland“ http://www.unerkanntdurchfreundesland.de/UdF/Unerkannt_durch_Freundesland.html. Dieses Buch handelt von Menschen aus der DDR, die sich den Traum von der Ferne durch illegale Reisen in die Sowjetunion erfüllten. Sie machten sich dabei den Umstand zunutze, dass die Behörden Transitvisa für die Reise nach Rumänien ausstellten, die einen 24stündigen Aufenthalt in der Sowjetunion erlaubten. Sobald sie eingereits waren, verließen sie die erlaubte Reiseroute und setzten sich in alle Teile des Riesenreiches ab: bestiegen den Elbrus, reisten ins Baltikum, nach Georgien, an den Baikalsee,… Innerhalb der großen sozialistischen Grenze probten sie erfolgreich kleinere Grenzübertritte und machten dabei großartige Erfahrungen.
Viele Grenzen erscheinen uns wie der Scheinriese Tur Tur, dem Jim Knopf und den Lokomotivführer Lukas auf ihrer langen Reise nach China begegnen. http://de.wikipedia.org/wiki/Jim_Knopf_und_Lukas_der_Lokomotivf%C3%BChrer#Tur_Tur Von fern gewaltig, doch immer kleiner werdend, wenn wir ihnen näher kommen. Wenn wir ihnen nahe sind, stellen wir fest, dass es vielleicht nur kleine Hürden sind, die wir leicht übersteigen können. Wie kann das sein? Je länger wir uns mit einem Ziel beschäftigen, desto realistischer können wir die Möglichkeiten einschätzen, es auch zu erreichen. Eine Weltreise ist ein gigantisches Unterfangen; doch zwischen der romantischen Sehnsucht nach ihr und dem tatsächlichen Aufbruch steht vor allem realistische Planung. Sehr schön beschreibt das übrigens Rudolph Wötzel in seinem Buch über die Überquerung der Alpen. http://www.amazon.de/%C3%9Cber-die-Berge-mir-selbst/dp/3778792083 Wenn wir Schritte auf ein Ziel hin unternehmen, stellen wir vielleicht fest, dass der Weg zwar lang sein mag, aber doch nur aus einer Abfolge kleiner Schritten besteht, die uns sämtlich möglich sind. Ein Musikinstrument zu lernen, fällt in diese Kategorie. Manche Aufgaben, die wir lange vor uns herschieben, sind tatsächlich ganz leicht zu lösen. Ich drücke mich im Job gern vor förmlichen Briefen. Wenn ich sie aber erst einmal diktiere, fallen mir oft elegante Formulierungen und einfache Lösungen ein… Und manche Aufgaben sind seltsame Scheinriesen. Solange sie vor uns liegen, flößen sie uns Furcht ein. Wenn wir den Sprung gewagt haben, fühlen wir uns er-leicht-ert und ermutigen andere: Komm, ist doch gar nicht so schwer… Fallschirmspringer und Bungeejumper können ein Lied davon singen. Und sicher alle, die sich daran erinnern, wie sie ihre/n Partner/in das erste Mal angesprochen haben…
Dumm ist nur, dass wir die Scheinriesengrenzen oft gar nicht austesten, weil unsere inneren Saboteure uns abraten: „Das bringt eh nichts.“, „Dafür bist du nicht stark, klug, ausdauernd, flink, gerissen,… genug.“, „Such dir lieber ein leichteres Ziel.“ Der Weg des geringsten Widerstands kann uns so zur Gewohnheit werden, dass wir an den Scheinriesen demütig vorübergehen: wir bewerben uns nicht für den interessanten Job, wir schieben die Steuererkärung bis zum 25. Mai auf, wir sprechen einen interessanten menschen im Café nicht an, etc. Wir alle haben unsere persönlichen Saboteure. Mein Saboteur heißt Couchpotato. Es ist die Stimme, die mir sagt, ich solle mich lieber nicht anstrengen, sondern buchstäblich mit Bier und Chips auf der Couch liegenbleiben. Und wir alle haben unsere Scheinriesen, Grenzen, die wir nicht austesten, weil sie zu gewaltig scheinen.
Was tun?
- Hier meine wichtigste Erkenntnis: Machen Sie es wie die Kinder. Kinder erobern spielerisch die Welt. Sie testen die Grenzen aus. Sie müssen Grenzen testen, sonst könnten sie nicht lernen. Im spielerischen Annähern können auch wir die Scheinriesen leicht identifizieren: Wird das Ziel vorstellbar? Fühle ich mich gut dabei? Wie hat sich die Distanz zum Ziel verändert? Spielen Sie mit Grenzen und nehmen Sie wahr, was geschieht!
- Und zweitens: Lernen Sie Ihre Saboteure kennen? Welche inneren Sätze hören Sie, wenn wieder mal ein Scheinriese auftaucht? Wer sagt diese Sätze? Geben Sie dem Saboteur ein Bild und einen Namen? Und üben Sie, ihn in die Schranken zu weisen? Für meinen Couchpotato habe ich mittlerweile oft nur Mitleid übrig. Manchmal mag ich ihn aber auch und setze mich zu ihm. Dann ist vielleicht gerade kein Scheinriese in Sicht…