Über Roald Amundsen: „Die Erfolgreichen gehen stur und unbeirrbar ihren Weg – gerade auch in unwägbaren Zeiten.“ (Handelsblatt, 23. März 2012)
Über Anton Schlecker: „Die Geschichte des deutschen Drogerie-Marktführers ist die von Sturheit, Ratlosigkeit und Größenwahn.“ (Handelsblatt, 26. März 2012)
Mit Sturheit hat Roald Amundsen den Südpol bezwungen. Mit Sturheit hat Anton Schlecker die größte Drogeriemarktkette in Deutschland aufgebaut. Mit Sturheit ist Amundsen unsterblich geworden. Mit Sturheit ist Schlecker in die Pleite gerauscht.
Wenn Sturheit gleichermaßen für Erfolg und Scheitern verantwortlich sein kann, was sagt das dann über den Wert dieser Persönlichkeitseigenschaft für erfolgreiches Handeln? Richtig. Der Erkenntniswert ist gleich Null. Wir können uns aller möglichen Talente und Qualitäten rühmen. Im falschen Augenblick eingesetzt, lassen wir Chancen verstreichen, scheitern wir auf der ganzen Linie, machen uns lächerlich oder verlieren eine Menge Geld. Ich kenne kein Talent, das uns nicht auch zugrunde richten kann. Der brillante Logiker wirkt unnahbar und kalt, wenn er im Konflikt mit präzisen Argumenten besticht – und verliert so die Herzen. Dem emphatischen Menschenfreund fällt es vielleicht schwer, Nein zu sagen. Vor ihm türmen sich Aufgabe um Aufgabe auf, bis nichts mehr geht. Das strebsame Arbeitstier behält das Ziel fest im Blick, erkennt aber nicht, dass ihn ein neues Ziel längst weitergebracht hätte. Und der spontane Leidenschaftsmensch lässt sich immer wieder von neuen Gelegenheiten verführen. Ergebnisse? Fehlanzeige!
Die Suche nach dem EINEN Erfolgsgeheimnis ist allzu menschlich. Die Erfolgreichen müssen sich nicht die Mühe machen, komplexe Antworten auf die Frage nach ihrem Erfolg zu geben. Ich bin erfolgreich und das ist mein Geheimtipp. Kurz, praktisch, gut. Und wir (noch) nicht Erfolgreichen möchten ihnen ja auch gern glauben. Je geradliniger der Weg zum großen Glück, desto besser. Stur sein, um alle Ziele zu erreichen? Das kann ich auch! Täglich ein Gläschen Rotwein, um 100 Jahre alt zu werden? Hol schon mal den Korkenzieher raus!
Wenn Erfolg und Expertentum so einfach wären, dann dürften das gesammelte Wissen des Neurolinguistischen Programmierens (NLP) nicht mehr als 5 Seiten füllen. Aber NLP ist ein hochkomplexes Wissensareal. In einem NLP-Glossar im Internet habe ich nach 150 Stichworten aufgehört zu zählen. Dabei war ich gerade beim Buchstaben H angelangt. Was die Begründer des NLP bei den großen Therapeuten Fritz Perls, Virginia Satir und Milton Erickson abgeschaut haben, waren eben keine einfachen Erfolgsrezepte, sondern Expertenwissen, das dicke Bücher füllt.
Es gibt nicht DAS Talent, DEN Weg und DIE Strategie. Sondern Antworten auf Fragen wie: Welches Talent dient mir jetzt? Welche meiner Stärken übertreibe ich gerade? Welche meiner schwächeren Präferenzen sollte ich momentan beachten? Für sich selbst immer wieder neue Antworten auf diese Fragen zu finden, ist allemal lohnender als komprimierte Erfolgsformeln anderer zu kopieren. Alle haben wir viele Seiten und Talente. Manche übertreiben wir und manche übersehen wir. Wie wir sie alle angemessen ins Boot holen, zeigt Friedemann Schulz von Thun mit seinem Modell des inneren Teams. In diesem Modell sind unsere Talente Teammitglieder mit einem jeweils eigenen Blick auf eine Aufgabe, ein Ziel oder eine Entscheidung. In einer inneren Ratsversammlung können wir diese verschiedenen Perspektiven zu Wort und zu einem ausgewogenen Ergebnis kommen lassen. Die innere Klärung bewirkt eine klare Äußerung und angemessenes Handeln. Wenn es denn so etwas wie Rezepte für den Erfolg gibt, dann sind es der oder die Wege, wie wir unsere unterschiedlichen Talente situativ zum Einsatz kommen lassen. Drei einfache Schritte genügen:
Erstens: Ich benenne meine Situation klar und formuliere eine konkrete Frage. Zum Beispiel: Ich habe einen Konflikt mit einem Kollegen. Wie verhalte ich mich angemessen?
Zweitens: Ich lasse die unterschiedlichen Perspektiven zu Wort kommen: Wie reagiere ich üblicherweise in Konflikten? Welches Verhalten zeige ich kaum? Was braucht mein Gegenüber? Welche Warnsignale zeigen mir, wenn ich in meinem Verhalten eingeschränkt bin und übertreibe? Aus dem inneren Dialog entsteht eine Vielfalt von Alternativen.
Drittens: Die Entscheidung. Ich wähle aus. Entweder mache ich, was ich gut kann, zum Beispiel logisch argumentieren. Und achte zusätzlich auf Warnsignale, die mir zeigen, wenn meine Logik jedes Mitgefühl vermissen lässt. Oder ich probiere etwas Neues; zum Beispiel, in dem ich meine Wahrnehmung konsequent auf die Beziehung richte.
Schritt zwei ist der wichtigste. Durch ihn gewinnen wir Zeit und Perspektive. Er ist der kleine Umweg zu UNSEREM Erfolgsrezept. Situation für Situation. Entscheidung für Entscheidung. Die drei Schritte sollten wir zunächst in Situationen testen, die wir leicht bewältigen können. Und nach und nach anspruchsvoller werden. Bis wir auch in unvorhergesehenen Situationen und unter Zeitdruck unsere eigene Vielfalt leben können.
Anton Schlecker ist gescheitert, weil er auch dann noch stur an seinem Geschäftsmodell festgehalten hat, als die Konkurrenten DM und Rossmann längst vorgemacht haben, dass es anders besser geht. Und Roald Amundsen hat überlebt, weil er gerade nicht nur stur und unbeirrbar war, sondern sich auch vorsichtig und vorausschauend auf die Gefahren des Südpols eingestellt hat. Auch die Geschichte dieser beiden Männer lehrt uns letztlich: Vielfalt gewinnt!